Zossener gedachten der Opfer des Holocaust
Zirka 80 Bürger folgten am Montag, dem 27. Januar 2020, der gemeinsamen Einladung von Bürgermeisterin Wiebke Schwarzweller und der Bürgerinitiative „Zossen zeigt Gesicht“, sich auf dem Marktplatz an den Stolpersteinen der Familie Falk zu versammeln, um hier am Holocaust-Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern. Nach der Begrüßung der Teilnehmer der Gedenkveranstaltung und dem auf Akkordeon vorgetragenen Choral aus „Schindlers Liste“ ergriff auch Wiebke Schwarzweller das Wort. Sie erinnerte an das bekannte Zitat des evangelischen Theologen Martin Niemöller: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“ Das Zitat, so Schwarzweller, gelte bis heute als Niemöllers Antwort auf die von nachfolgenden Generationen immer wieder gestellte Frage: Warum habt ihr damals nichts getan…? „Heute haben wir uns hier getroffen, um an jene zu erinnern, die damals in Zossen von den Nazis ‚geholt‘ worden sind. Wir stehen an den 2008 gesetzten Stolpersteinen für die jüdische Familie Alex, Charlotte, Felix Bernhard und Gerda Falk, ermordet im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz.“ Dessen Befreiung vor 75 Jahren durch Soldaten der Roten Armee wurde am 27. Januar 2020 landesweit mit zahlreichen Gedenkveranstaltungen begangen. Auschwitz gilt heute als Synonym für den Massenmord der Nazis vor allem an Juden, aber auch Sinti und Roma und anderen Verfolgten. Auschwitz ist zugleich Ausdruck des Rassenwahns der Nationalsozialisten.
Bürgermeisterin Schwarzweller bezeichnete den 27. Januar als Tag des Gedenkens und des Nachdenkens. „Bereits um 10 Uhr ertönte aus diesem Anlass in acht Ortsteilen Zossens ein einminütiger Sirenen-Dauerton in Anlehnung an das akustische Shoa-Mahnzeichen in Israel. Weitere Stolpersteine befinden sich in der Berliner Straße 11 für das Ehepaar Lesser und Martha Weinberg, das 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde und dort ums Leben kam. Sohn Herbert wurde 1943 im KZ Auschwitz ermordet. In der Stubenrauchstraße 4 ist 2012 ein Stolperstein für Werner Paul Robert Dalen gelegt worden. Er lebte und arbeitete 17 Jahre in Zossen, bevor er nach Berlin zog. Von dort wurde er ins Ghetto Litzmannstadt deportiert, wo er 1942 ums Leben kam.
In ihrer Rede verwies Wiebke Schwarzweller auf den Talmud, einem der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums. Dort heißt: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Diesen Spruch hat sich der Künstler Gunter Demnig vor Jahren zu Herzen genommen und die Verlegung von sogenannten Stolpersteinen initiiert – zur sichtbaren Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus – sieben davon auch in Zossen. Inzwischen liegen solche Stolpersteine in mehr als 1260 Kommunen Deutschlands und in mehr als zwanzig Ländern Europas. Entsprechend eines uralten Brauchs, auf jüdische Gräber keine Blumen, sondern Steine zu hinterlassen, legte Wiebke Schwarzweller mehrere Kieselsteine auf die Stolpersteine. Der Brauch, so erklärte sie, stamme aus der Zeit, in der Juden auf der Flucht aus Ägypten durch die Wüste zogen. Dort habe es keine Blumen und auch keine schönen Grabsteine gegeben. Wenn jemand gestorben war, brachten die Angehörigen zur Bestattung kleine Steine mit und schichteten sie auf dem Grab auf. Sie markierten das Grab, damit Besucher es später finden konnten. Nun seien Stolpersteine zwar keine Grabstätten, wohl aber öffentliche Orte der Erinnerung an die Toten. „Lassen Sie uns gemeinsam alles tun, damit kein Mensch jemals wieder vor Antisemitismus und Rassismus Angst haben muss – nicht in unserer Stadt, nicht in unserem Land. Damit uns nachfolgende Generationen nicht fragen müssen: Warum habt ihr damals nichts getan . . .? Wir sollten immer daran denken: Wer seine Geschichte vergisst, hat keine Zukunft“, so die Bürgermeisterin.
Bevor sich die Teilnehmer der Gedenkveranstaltung zu den Stolpersteinen in der Berliner Straße 11 begaben, um dort ebenfalls Blumen und Steine niederzulegen, erklang auf dem Marktplatz ein Friedenslied und es wurden Auszüge aus dem Buch „Der Apfelbaum“ des bekannten Schauspielers Christian Berkel zitiert. In dem Roman versucht Berkel die Geschichte seiner jüdischen Familie aufzuarbeiten. Darin heißt es unter anderem: „Zuerst stirbt der Mensch, dann die Erinnerung an ihn. Für den zweiten Tod tragen wir Nachgeborenen die Verantwortung. Wollen wir mit dem Satz Irgendwann muss doch mal Schluss sein die Menschen von damals ein zweites Mal ermorden? Wie viele Namen wollen wir denn mit einem sauberen Schlussstrich eliminieren?“ Beeindruckend auch die Worte einer Zeitzeugin, die betonte, wieviel Mut es einst für Deutsche brauchte, um Juden zu helfen. Dennoch gab es immer wieder Beispiele, an die man sich erinnern sollte.
Hintergrund: Der Holocaust-Tag am 27. Januar wurde im Jahr 1996 vom damaligen, inzwischen verstorbenen Alt-Bundespräsidenten Roman Herzog als Gedenktag eingeführt. Vor 75 Jahren, am 27. Januar 1945, befreiten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des KZ Auschwitz-Birkenau. Der 27. Januar ist ein Gedenktag für alle Opfer des Nationalsozialismus, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden.