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Digitalisierte Fotosammlung als Zeitdokument und Kulturgut

Günter Scheike hinterließ 5000 Negative aus 500 Orten der DDR / Ein Teil ist dank eines geförderten Projektes für jedermann im Internet zu sehen. 

Erste Ergebnisse des vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg geförderten Projekts „Digitalisierung  von Fotos aus den 1960er Jahren von Orten der DDR“  sind am 21. Oktober 2020 vom Heimatverein „Alter Krug“ und dem Verein „Bildung und Aufklärung  in Zossen“ (BAZ) im Rathaus  präsentiert worden. An diesem Tag ist zugleich der erste Teil einer außergewöhnlichen Fotosammlung online gegangen. Dabei handelt es sich um zunächst mehr als 1600 Aufnahmen des Zossener Berufsfotografen Günter Scheike, der der Nachwelt insgesamt mehr als 5000 Negative aus 500 Orten der DDR hinterlassen hat – von Alikendorf  bis Zossen.
Sowohl Zossens stellvertretender Bürgermeister Raimund Kramer als auch Ulf Preuß, Leiter der  Koordinierungsstelle Brandenburg-digital, würdigten die Arbeit, das Engagement  und die Ergebnisse der beiden Vereine, die mit diesem Projekt einen wichtigen Beitrag zum Erhalt und zur allgemeinen Zugänglichkeit einer wohl einzigartigen Sammlung für die Nachwelt geleistet haben.

Dr. Rainer Reinecke, der als Vorstandsmitglied des Heimatvereins federführen bei der Realisierung des Projektes vor, veranschaulichte in seinem Vortrag eindrucksvoll, welche Fleißarbeit von der Fördermittelantragsstellung bis zur Präsentation steckte.  So mussten Fotos  mit markanten Bauwerken, Parkanlagen oder Landschaften der einzelnen Orte ausgewählt, dazu recherchiert, und - wenn die Suche erfolglos war - Kontakt zu Heimat- und Geschichtsvereinen, Ortsbürgermeistern oder Museen hergestellt werden. Zig einzelne Arbeitsschritte sind bei jedem Motiv erforderlich, bis das Foto ordentlich zugeordnet und   beschriftet werden kann. Reinecke spricht von 81 Einzelschritten, allein um einen neuen Ordner anzulegen, und von immerhin noch 36, um ein weiteres Bild einzufügen.  „Unser Ziel war es, im Jubiläumsjahr der Stadt Zossen so viel wie möglich aus dem  umfangreichen Archiv von Günter Scheike ins Internet zu stellen und auf der Internetplattform museum-digital-brandenburg so einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, erzählt Karola Andrae, Vorsitzende des Heimatvereins. Mit der Genehmigung der Fördermittel in Höhe von 10 000 Euro war man die Verpflichtung eingegangen, noch im Jahr 2020 zwischen 500 und 1000 Fotos einzustellen. Das Soll wurde mehr als übererfüllt: 1638 Fotos aus 216 Orten sind inzwischen im Internet zu sehen.

Karola Andrae hat eine besondere Beziehung zur  Sammlung, ist sie doch die Tochter des passionierten Fotografen. Und so konnte sie zu vielen der von Rainer Reinecke gezeigten Fotos aus Zossen informative Erläuterungen und kleine Episoden ergänzend hinzufügen.

Es war das Jahr 1961, so Andrae, als ihr Vater im Februar seinen 40. Geburtstag gefeiert hat. Der von seiner Frau geführte Fotobetrieb „Fotofreund Scheike“ in Zossen verzeichnete zu diesem Zeitpunkt - dank eines öffentlichen Auftrages zur Herstellung von Fotokopien aus Mikroverfilmungen des Deutschen Patentamtes - sehr gute Umsätze. „Mit dem Bau der Berliner Mauer am 13.August 1961 wurde plötzlich alles anders. Der Auftraggeber saß in Westberlin, damit war der Großauftrag geplatzt“, erzählt Karola Andrae. Wie viele Firmen und Bürger stand auch das Geschäft „Fotofreund“ vor neuen Herausforderungen. Veränderte, den Bedingungen angepasste Geschäftsideen waren jetzt notwendig gefragt. Fotos nach „Sehnsuchtsorten“  waren angesichts der gebauten Mauer nachgefragt.

Mehr als  zehn Jahre reiste Günter Scheike durch die DDR und fotografierte in den Ortschaften nicht nur die Kirchen, Burgen und Schlösser, sondern vor allem Straßen und Plätze außerhalb der gängigen Postkartenmotive. Er bevorzugte die kleinen Orte und Dörfer, die kaum Gegenstand der Fotokunst waren. Dank der Nachfrage nach solchen Motiven beschäftigte „Fotofreund“ zeitweilig bis zu sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.  „Die Fotos wurden zu Bildern in der Regel auf 18 x 24 vergrößert, dann per Hand coloriert, also jedes Bild war dann ein Unikat, was dann auf Pappe gezogen, hinter Glas mit einem Passepartout  in einen Rahmen  gelegt, hinten genagelt, verklebt und versendet wurde. Nur so komplett gab es die Bilder. Sie kosteten dann pro Stück 14,50 DDR-Mark“, erinnert sich Karola Andrae.

Scheikes Bilder waren oft auch die einzige Möglichkeit zum Andenken an die einzelnen Orte. „Viele Bilder“, so Karola Andrae, „gingen damals auch in den Westen. Man erinnerte sich an jene Orte, in denen Hochzeiten, ob grüne, silberne, goldene, gefeiert wurden, in denen jemand aus der Verwandtschaft konfirmiert wurde oder die Kommunion empfangen hatte. Großen Absatz fanden die Bilder auch in Orten nahe sowjetischer Garnisonen als Andenken der Soldaten. Verkauft wurden die Bilder zumeist über den Dorfkonsum oder andere Geschäfte in den einzelnen Orten.  Das Besondere:  „Es waren eben keine wirklichen Postkartenmotive, sondern zeitlose, an die Wand zu hängende Bilder. Darum sind kaum Menschen oder  aktuelle Plakate,  wenig Autos und andere Zeugnisse des jeweiligen Zeitgeschehens zu sehen“, erklärt Karola Andrae. Wichtig sei die Zeitlosigkeit gewesen, die ausgestrahlt  wurde.

Anfang der 1970er ließ das Interesse an den Heimatbildern merklich nach. Deshalb enthält die Sammlung Fotos aus dem Zeitraum 1961 bis 1972. 1979 schließlich stellte das Geschäft „Fotofreund“ seinen Betrieb ganz ein. Günter Scheike starb 1980. Er wäre im kommenden Jahr 100 Jahre alt geworden. Geblieben ist seine jetzt digitalisierte Fotosammlung als ein besonderes Zeitdokument und Kulturgut.

Wer sich im Internet die Bilder anschauen will, sollte https://brandenburg.museum-digital.de eingeben. Dort erhält man zunächst einen Überblick über die vielfältigen digitalen Angebote der Brandenburger Museen. Wer beim Durchklicken noch nicht auf die Sammlung gestoßen ist, sollte auf die Menüleiste Sammlung/Sammlung suchen gehen und dort „Digitalisierte Negative des Fotografen Günter Scheike“ eingeben. Wer möglicherweise auf den Fotos Orte erkennt, in denen er in den 1960er gelebt und dort etwas heute noch Erwähnenswertes erlebt hat, kann dies gern unter service@heimatverein-zossen.de  mitteilen. „Wir würden uns freuen“, sagt Karola Andrae.

Zossen, den 22. Oktober 2020, 11.05 Uhr

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